Im voll besetzen Eichensaal des Böglerhofes in Alpbach diskutierten relevante Stakeholder auf Einladung des Institutes HEALTH zum Thema "Wie viel Evidenzbasierte Medizin veträgt das Gesundheitssystem? - Beispiel Österreich”. Am Podium diskutierten:
Gottfried Endel | Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger; Leiter des Teams evidenzbasierte Medizin und Health Technology Assessment |
Karl Forstner | Erster Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Präsident der Ärztekammer für Salzburg |
Andrea Fried | Bundesgeschäftsführerin der ARGE Selbsthilfe Österreich |
Thomas Pieber | Direktor des Instituts HEALTH – Institut für Biomedizin und Gesundheitswissenschaften der JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH; Leiter der klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel an der Medizinischen Universität Graz |
Andrea Siebenhofer-Kroitzsch | Leiterin des EBM Review Centers der Medizinischen Universität Graz und stellvertretende Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin an der Goethe Universität Frankfurt und Leiterin des Arbeitsbereichs Chronische Krankheit und Versorgungsforschung |
Im Publikum diskutierten ca. 50 Personen rege mit, moderiert wurde die Session von Roland Schaffler (Herausgeber ÖKZ & Chefredakteur QUALITAS).
Die Teilnehmer diskutierten, wie evidenz-basierte Medizin (EbM) auf zwei distinkten Anwendungsebenen zu verstehen ist. Erstens bei der individuellen Patientenversorgung, wo die Berücksichtigung von bester verfügbarer Evidenz, ärztlicher Erfahrung sowie von Patientenpräferenzen unabdingbar ist. Hier hilft die Evidenz Ärzten und Ärztinnen dabei, eine überlegte und begründete klinische Vorgehensweise einzuschlagen, die auf die individuelle Situation des jeweils Betroffenen abstellt. Dies kann aber auch dazu führen, dass gewisse Maßnahmen aufgrund von Sicherheitsbedenken oder ungünstigem Nutzen-Risiko-Profil vorenthalten bzw. nicht empfohlen werden. Diese ist jedoch keinesfalls nicht mit Rationalisierung zu verwechseln! MedizinerInnen, die EbM praktizieren, zeichnen sich neben der Fähigkeit, gut zuhören zu können, auch unter anderem dadurch aus, Wissensunsicherheiten, die oft durch eine mangelhafte Evidenzlage auftreten, offen eingestehen zu können.
Die zweite Anwendungsebene für EbM ist die Systemebene der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung. Hier ist die Evidenz als unterstützende Entscheidungsgrundlage über systemische Veränderungen zu sehen, die mit Methoden der Versorgungsforschung (anstelle von klinischer Meinung) objektiviert und generalisiert ist. Zudem spielen dann, über Entscheidungsträger beigebracht, gesamtgesellschaftliche Präferenzen eine weitere Rolle. Es ist auf der Systemebene zu erwarten, dass ein EbM-basierter Zugang zu mehr Transparenz in der Entscheidungsfindung und zu einer ergebnisoffenen Diskussion führt. Dafür müssen aber auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen stimmen und unabhängige Versorgungsforschung vorhanden sein.
Es hat sich in Österreich in Hinblick auf EbM viel getan, jedoch ist im Vergleich zu einigen anderen Ländern, in denen man auf mindestens 20 Jahre Erfahrung mit EbM zurückblicken kann, auch noch viel zu tun. Auf Ebene der individuellen Versorgung sind gut aufbereitete und verständliche Informationsmaterialien wie Kitteltaschenversionen hochwertiger Leitlinien von Nöten. Die Vermittlung der Methoden der systematischen Aufbereitung und Anwendung der Evidenz und die richtige Einschätzung ihrer Bedeutung müssen als Mittel der dauerhaften Selbstbefähigung für medizinisches Personal fixer Bestandteil im Medizinstudium werden. Auf der Systemebene besteht in Österreich insbesondere im Bereich Messung und Monitoring Verbesserungspotenzial, auf gesamteuropäischer Ebene im Bereich der Evaluierung von Medical Devices.
Fazit: Richtig durchgeführte und angewendete EbM kann in vielen Bereichen zu einem Wissensgewinn führen!