DIGITAL

Über Antrieb, Wende und Verantwortung

Matthias Rüther, Direktor von DIGITAL, im Interview über seine Einschätzung der digitalen Mobilitätswende und den Einfluss des Faktors Mensch auf die technologische Entwicklung im Bereich Mobilität.

Matthias Rüther leitet seit Anfang 2022 das Institut DIGITAL.
Matthias Rüther leitet seit Anfang 2022 das Institut DIGITAL. Foto: JOANNEUM RESEARCH/Bergmann

 

Digitale Mobilitätswende: Welche Trends orten Sie?

Rüther: Der große Trend steckt im Begriff selbst. Die Digitalisierung ist ein wesentlicher Antrieb, um eine nachhaltige Mobilitätswende zu schaffen. ­Digitalisieriung ermöglicht uns, Mobilität zunehmend als Dienstleistung zu begreifen, die uns von A nach B bringt. Sie ­eröffnet aber auch neuen Mobilitätsanbietern die Möglichkeit, sich zu integrieren und eine Nische zu besetzen. ­E-Scooter sind hier ein anschauliches Beispiel der letzten Jahre.

Ist die Gesellschaft schon dort, wo sie technologisch sein könnte?

Rüther: Die Technologie kann Möglichkeiten bieten, aber sie soll die Anliegen und Bedürfnisse unserer Gesellschaft unterstützen. Derzeit zeichnet sich ab, dass sich nachhaltige Mobilitätskonzepte einfacher in Form zentralisierter Systeme realisieren lassen. Damit erzeugen wir ein Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis nach Individualität und der Nachhaltigkeit von Massentransportmitteln. Gerade ein Land mit der Geografie Österreichs wird letztlich beides brauchen, hoffentlich in einer nahtlosen Kooperation.

Wo liegen die Stolpersteine, die den Fortschritt hemmen?

Rüther: Heute wird die Mobilitätswende gleichgesetzt mit multimodalem Verkehr. Das bedeutet, dass wir Verkehrsmittel so kombinieren, wie es am besten unserem Mobilitätsbedürfnis für bestimmte Strecken entspricht. Die Kunst liegt in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Mobilitätsanbieter, ohne dabei das Prinzip des freien Wettbewerbs aufgeben zu müssen. Die ­Herausforderungen beginnen bei scheinbar einfachen Themen wie dem gegenseitigen Informationsaustausch und gehen bis hin zur gemeinsamen Verrechnung einer Transportleistung. An diesen und anderen organisatorischen Themen wird mit Hochdruck gearbeitet, was auch der „Aktionsplan Digitale Transformation in der Mobilität“ des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, ­Mobilität, Innovation und Technologie unterstreicht.

Welche Rolle spielt autonomes Fahren beim Mobilitätswendepunkt? 

Rüther: Mit zunehmendem Personalmangel wird es der öffentliche Verkehr noch schwerer haben, Verkehrsanbindungen in guter Verbindungsqualität anzubieten. Autonome Shuttles können hier auf bestimmten Strecken eine gute Ergänzung bieten. Umweltfreundliche autonome Fahrzeuge können aber auch das Platzproblem in Ballungsräumen entschärfen, wenn sie fern von ihrem Zielort abgestellt werden. Damit kann Raum für alternative Transportmittel geschaffen werden.

Lenkerlose Fahrzeuge sind nach wie vor selten. Warum?

Rüther: Technisch und rechtlich abgesicherte Funktionen sind sogar schon sehr weitverbreitet: Spurhalte-, Abstands- und Notbremsassistenten haben ihren Weg in den Massenmarkt gefunden. Einparkhilfen und Spurwechselassistenten sind im Kommen. Derzeit dominieren noch die digitalen Assistenten, da hier die Letztverantwortung bei den Lenker*innen bleibt. Die große Hürde liegt wohl nach wie vor in der Übernahme dieser Verantwortung durch den Hersteller und in einem entsprechenden Zulassungsverfahren, das dann internationale Gültigkeit hat.

Wie ist Ihre Prognose – ab wann werden wir in Österreich das Steuer aus der Hand geben und lesend am Lenkrad sitzen?

Rüther: Unter bestimmten Fahrbedingungen ist das in manchen Fahrzeugen bereits möglich. Wir werden diese Weiterentwicklung aber wohl zuerst in Nutzfahrzeugen sehen. Auch wenn das Lesen am Lenkrad komfortabel ist, der große Nutzen liegt woanders. Ein vollautonomes Fahrzeug lässt sich wesentlich einfacher mit anderen teilen und kann Transportaufträge übernehmen. In Kombination mit einer umweltfreundlichen Antriebstechnologie werden wir sie in 10 Jahren vermehrt auf unseren Straßen sehen.

Auf welche innovativen, umweltverträglichen Verkehrstechnologien würden Sie setzen und welchen Dienstleistungen geben Sie die größten Chancen am Mobilitätsmarkt?

Rüther: Ich persönlich gebe integrierten Mobilitätslösungen, die auf bestehender Infrastruktur aufbauen, die größte Chance. Unsere Verkehrsnetze haben sich über viele Jahrzehnte entlang unserer Mobilitätsbedürfnisse entwickelt. Derzeit sieht man überall massive Anstrengungen, die Umweltverträglichkeit weiter zu erhöhen: auf Schienen, Straßen, Seewegen und in der Luftfahrt. Digitalisierung kann hier eine Brücke zwischen den Systemen schlagen und Mobilität auf einer neuen Ebene anbieten, auf welcher das „Gefäß“, in dem man sich bewegt, eine untergeordnete Rolle einnimmt.

Welche Forschungsthemen spielen bei der digitalen Mobilitätswende die Hauptrolle und wo findet sich DIGITAL dabei?

Rüther: Die große Vision ist ein vollintegrierter digitaler Zwilling aller Verkehrssysteme. Mit einer vollständigen Abbildung der Infrastrukturen und Echtzeit-Information über alle Verkehrsmittel und Auslastungen. Auf dieser Basis wird man eine breite Palette an digitalen Services anbieten, aber auch Verkehrsszenarien simulieren und Systeme weiter optimieren können. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber Österreich setzt hier gute Akzente, beispielsweise mit der „Verkehrsauskunft Österreich“. Die Forschung entwickelt hier innovative Lösungen für eine effiziente Erfassung der Daten. Sie treibt aber auch deren Nutzung in Simulation und Prognose voran. Je komplexer das Gesamtsystem, desto mehr wird man sich auf eine automatische Analyse – beispielsweise durch KI – verlassen müssen, ohne Abstriche in der Sicherheit zu machen. Das wird äußerst herausfordernd.

Welche Ziele haben Sie mit Ihrem Team von DIGITAL, die Mobilität für Morgen smarter und grüner zu machen?

Rüther: Unser Schwerpunkt liegt in der intelligenten Datenerfassung vor Ort und in der Datenbereitstellung als digitale Zwillinge. Verkehrsnetze können tausende von Kilometern umfassen und trotz aller Digitalisierung ist teilweise wenig Information verfügbar, was draußen auf der Strecke tatsächlich passiert. In vielen Bereichen können wir diese Lücke schließen, indem wir etwa den Straßenzustand erfassen, um den Straßenbelag zu schonen, oder Echtzeitinformation über gefährdete Verkehrsteilnehmer*innen erfassen und verteilen. Wir bauen Warnsysteme für eine sichere Mobilität und unterstützen auch verkehrslenkende Maßnahmen für die Smart-Citys der Zukunft, indem wir unter anderem Geräuschemissionen und -immissionen punktgenau erfassen und objektiv bewerten.

Abschließend: Worauf würden Sie zugunsten einer grüneren Mobilität verzichten? Ist aus Ihrer Sicht Verzicht oder Umdenken notwendig?

Rüther: Mir persönlich ist ein nachhaltiger Lebensstil wichtig, daher verlasse ich mich das ganze Jahr über auf mein E-Bike im Stadtverkehr. Neben dem Umweltgedanken erhalte ich eine merkbare Zeitersparnis und bin, zumindest im Stadtbereich, nicht in der Reichweite beschränkt. Mein Fazit ist, es lohnt sich immer, Alternativen in Betracht zu ziehen und die Vorteile zu suchen, anstatt sich auf Einschränkungen zu konzentrieren.

 

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