LIFE

Verkehrskonzepte der Zukunft, private Mobilität und der öffentlicher (Lebens)Raum

Aktive Mobilität, E-Scooter und Fahrgemeinschaften: Franz Prettenthaler, Direktor des Instituts LIFE, und Christian Joachim Gruber von der Kompetenzgruppe Urban Living Lab im Gespräch.

Christian Joachim Gruber, im Hintergrund der Grazer Science Tower
Christian Joachim Gruber leitet die Kompetenzgruppe Urban Living Lab, Foto: JOANNEUM RESEARCH/Bergmann

 

Das Institut LIFE setzt sich mit nachhaltigen Verkehrskonzepten auseinander. Wie werden wir uns in Zukunft fortbewegen?

Prettenthaler: Die klimafreundlichste und auch die gesündeste Form der Fortbewegung ist es, zu Fuß zu gehen oder mit dem Fahrrad zu fahren. Diese sogenannte aktive Mobilität hat insbesondere in den Städten bereits stark zugenommen und muss in Hinblick auf die Verkehrswende noch weiter an Bedeutung gewinnen. Ein wichtiger Trend im Bereich Individualverkehr ist die Intermodalität. Das bedeutet, dass eine Kette aus unterschiedlichen Verkehrsmitteln zum Ziel führt – etwa Fahrrad, Bahn und innerstädtischer Öffiverkehr oder PKW und öffentliche Verkehrsmittel. Beim motorisierten Verkehr geht der Trend klar in Richtung Elektromobilität und auch das autonome Fahren wird ein wichtiges Thema.

Gruber: Autonomes Fahren könnte beispielsweise Taxi-Fahrten kostengünstiger machen, weil die Fahrzeuge sieben Tage die Woche rund um die Uhr im Einsatz sein können. Immer wichtiger werden auch Fahrgemeinschaften, sei es die Nutzung eines Fahrzeugs durch mehrere Personen oder die Nutzung von Mitfahrmöglichkeiten. All das könnte die Sinnhaftigkeit, ein eigenes Auto zu besitzen, zunehmend in Frage stellen. Wie sich diese Veränderungen beziehungsweise das Verhalten der einzelnen Verkehrsteilnehmer*innen auf das Gesamtgefüge auswirkt, das können wir mit unserem agentenbasierten Verkehrsmodell anhand von einzelnen Akteurinnen oder Akteuren – den sogenannten Agenten – simulieren.

Wie wird sich der öffentliche Raum in den nächsten Jahren entwickeln?

Prettenthaler: In Städten ist die Attraktivierung und Zurückgewinnung des öffentlichen Raums als Lebensraum ein Megatrend. In den Straßen parkende Autos sind unattraktiv für die Aufenthaltsqualität an einem Ort. Parkbänke, Schanigärten und die Erreichbarkeit zu Fuß oder mit dem Fahrrad bringen mehr Umsatz als vor den Geschäften parkende Autos – das haben zahlreiche Städte bereits bewiesen.

Im urbanen Raum ist es ein Leichtes den öffentlichen Verkehr zu nutzen, doch wie soll die Transformation am Land bzw. für Pendler vonstatten gehen?

Gruber: Der rurale Raum stellt – bedingt durch die Siedlungsstruktur in Österreich – eine besondere Herausforderung dar. Um die Ziele der Klimaneutralität mit dem Fokus 2040 im Mobilitätssektor auch am Land zu erreichen, steht nur eine beschränkte Bandbreite an Handlungsfeldern zur Verfügung. Aber auch hier ist ein Umdenken der einzelnen Akteure gefragt. Es ist notwendig, den öffentlichen Verkehr, das Fahrrad und das Zu-Fuß-Gehen attraktiver zu machen und zum Beispiel das Pendeln mit dem Auto in die Stadtzentren unattraktiver. Einerseits durch eine Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur und andererseits durch ein Ausweiten von Fußgängerzonen und eine Verteuerung des Parkens im städtischen Bereich, sodass man zukünftig verstärkt öffentliche Verkehrsmittel oder Park-and-Ride-Systeme nutzt, statt mit dem PKW in die Städte zu pendeln. Sinnvoll wäre es, zudem Mitfahrgemeinschaften zu fördern, zum Beispiel durch Einbindung in vorhandene digitale Plattformen. Auch Eingriffe in die Raumordnung, um Zersiedelung einzubremsen, sind in Zukunft wohl nicht auszuschließen. Mit einer Optimierung der Raumordnung können die Zersiedelung eingebremst und vorhandene, funktionierende Siedlungsstrukturen abgesichert werden, um den öffentlichen Verkehr zukünftig attraktiver ­gestalten zu können.

Die Corona-Pandemie hat bestimmte Entwicklungen beschleunigt. Stichwort Online-Shopping oder Homeoffice. Was bedeutet das für die Verkehrsentwicklung?

Prettenthaler: Der ­ Lieferverkehr hat mit der Corona-Pandemie stark zugenommen und dafür werden Lagerflächen benötigt. So entwickeln sich neue Formen der Logistik, die an sich nichts zur Lebensqualität beitragen – etwa Verteilerzentren für die Lebensmittel- und Essenszustellung im innerstädtischen Bereich. Wenn diese unattraktiven Flächen und die Logistik ausgelagert werden, entstehen unattraktive Städte, sogenannte Hub-Citys. Sie decken die Produktion, den Transport und die Logistik ab, bieten aber nichts an Lebensqualität.

Gruber: In vielen Berufsgruppen ist es mittlerweile zur Normalität geworden, einen oder mehrere Tage in der Woche im Homeoffice zu arbeiten. Das birgt einerseits ein enormes Potenzial, um den CO2-Ausstoß zu verringern: Bei einer täglichen Anfahrtstrecke von 30 Kilometern bedeutet ein Tag Telearbeit pro Woche eine Ersparnis von etwa 2.700 km pro Jahr. Andererseits ­könnte hier allerdings ein Rebound-Effekt zum Tragen kommen: Denn wenn die eingesparte Energie beziehungsweise das Geld dann in Fernreisen oder weite Autofahrten an den Wochenenden fließt, dann reduziert sich damit der Effekt der CO2-Einsparung.

Das bedeutet, ohne Bewusstseins- beziehungsweise Lebensstiländerung wird es schwierig, seinen CO2-Rucksack zu verringern?

Prettenthaler: Für die Durchschnittsperson in Österreich ist Mobilität der größte Posten im CO2-Fußabdruck, der durch das eigene Handeln beeinflussbar ist, vor Ernährung und Wohnen. Im Durchschnitt werden pro Kopf 3,2 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr durch Mobilität verantwortet. Auffällig ist, dass es starke Unterschiede zwischen den Menschen gibt: Jene 10 Prozent der Bevölkerung mit den höchsten Emissionen im Mobilitätsbereich sind für 18 Mal so viele Emissionen verantwortlich wie jene 10 Prozent mit den geringsten Emissionen. Besonders ins Gewicht fallen Flüge, das Fahren von großen Fahrzeugen wie SUV und Pendeln.

Das Mobilitätsverhalten spiegelt also auch die sozialen Unterschiede wider?

Prettenthaler: Genau. Die wirklich sozial Benachteiligten fahren schon jetzt nicht mit dem Auto. In diesem Zusammenhang sollten deshalb auch die sozialen Auswirkungen der Mobilitätswende und etwaige Förderungen genau unter die Lupe genommen werden. Dafür haben wir am Institut LIFE ein Simulationsmodell entwickelt, das die Treffsicherheit von Transferleistungen wie der Pendlerpauschale ermitteln kann.

Gruber: Und auch bei der Planung der Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität ist es wichtig, darauf zu achten, dass die unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang haben wir im Projekt FEMCharge am Fallbeispiel Graz einen Kriterienkatalog für die Positionierung und Ausstattung von Ladestationen für Elektroautos erarbeitet. Wenn die Elektromobilität wirklich alle Bevölkerungsgruppen erreichen soll, sind die Bedürfnisse von Frauen, älteren Menschen oder anderen benachteiligten Gruppen zu berücksichtigen.

 

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